Für Kinder sind diese Erzählungen noch weit wichtiger. Denn für sie ist alles außerhalb des engsten Familienkreises beängstigend fremd und unverständlich. Aber mithilfe von Geschichten kann man ihnen nach und nach die Wahrheiten der Welt enthüllen und sie zu gesunden Mitgliedern der Gesellschaft reifen lassen.
Natürlich besitzt jede Kultur ihren eigenen Pool an Überlieferungen, denn wir leben alle in einer anderen Umwelt und wachsen mit verschiedenen Traditionen auf.
Aber wichtiger als die Unterschiede in den Erzählungen ist die Unterscheidung, die sich aus der Wahl der Kommunikationsmittel ergibt.
Denn es gibt in der Menschheitsgeschichte zwei große Veränderungen, die auf die Art der erzählten Geschichten und ihre Rolle in unserem Leben wirkten.
Die erste war der Übergang von einer rein mündlichen Kultur zu einer Schriftkultur zu Beginn des 16. Jahrhunderts. Die zweite erleben wir heute mit dem Ende der Buchkultur und ihrer Ablösung durch eine vollständig neue Medienumwelt.
Das ist von weit größerer Bedeutung als gemeinhin angenommen. Denn jedes Medium gibt einen geistigen Rahmen vor, innerhalb dessen man denken kann, und beeinflusst damit massiv die Form und den Inhalt der Geschichten die wir über unsere Welt erzählen.
Die ursprüngliche Form des Geschichtenerzählens scheint unserem menschlichen Wesen innezuwohnen. Man erlebt das immer wieder im Freundes- und Familienkreis. Wie sich durch den Kontakt mit den alten Erzählungen unser Blick auf die Welt und dadurch unsere Einstellung zu ihr verändert.
So ähnlich muss es in früheren Zeiten gewesen sein. Dass man mit den Überlieferungen einen Bezugsrahmen schuf, durch den man in der Lage war, die aktuellen Ereignisse einzuordnen und so das eigene Leben zu gestalten.
Heute leben wir in einer weitaus komplexeren Welt als früher.
Das hat nicht nur mit unserer technischen Revolution zu tun, sondern vor allem damit, dass wir in einer Buchkultur leben. Denn eine Kultur, die auf einer durch das Buch geformten Art des Denkens fußt, ist so heterogen, dass zu ihrem Verständnis mündliche Überlieferungen nicht mehr ausreichen.
Daher ist es auch so wichtig wie wir unsere Kinder an sie heranführen. Denn in unserer Kultur genügt es nicht ihnen von der Welt und der Rolle des Menschen in ihr zu erzählen. Sondern sie müssen lernen, diese Dinge über das geschriebene Wort zu verstehen.
Und auch wenn wir heute dabei sind diese Buchkultur zu verlassen, so leben wir doch noch in ihr und müssen unsere Kinder auf das Leben in ihr vorbereiten.
Denn je schneller der technische Fortschritt weitergeht desto wichtiger werden durch das Buch „gebildete“ Menschen sein.